Experten für Gott und Barbie

Einfach den Alltag auf Gott beziehen: Dann entwickeln Kinder oft erstaunliche theologische Theorien, von denen auch die Eltern lernen können.

„Mama, sind wir evangelisch oder katholisch?“ Als mein neunjähriger Sohn mir diese Frage stellte, war ich doch ziemlich verblüfft. Seine sechsjährige Schwester musste ihm aushelfen; weil ihre beste Freundin evangelisch ist, wusste sie: Wir sind katholisch.
Die Episode zeigt schlaglichtartig: In der Wahrnehmung von (manchen) Kindern fällt die Trennlinie katholisch/evangelisch offensichtlich viel weniger auf als andere, etwa die zwischen „christlich“ und „nicht christlich“ oder die zwischen „Mama, die gehen überhaupt nicht in die Kirche!“ und „Wir müssen immer gehen!“ oder „Mama, die beten abends gar nicht!“ und „Wir beten immer.“

Keine Freunde im Gottesdienst

Schon die Kinder erleben heute, dass sie als praktizierende Christen in der Minderheit sind. Das kratzt zwar nicht an ihrem Selbstbewusstsein; aber es wirkt auch nicht gerade motivierend, wenn sie im Gottesdienst keine Freunde treffen und wenn sie Fragen des Glaubens nur in der Familie besprechen können. Die Minderheiten-Situation verunsichert auch viele Eltern; sie tun bei der religiösen Erziehung etwas, was nicht alle Eltern mittragen, finden also wenig Möglichkeiten, sich über das Beten oder Gottesdienst-Besuche mit Kindern genauso auszutauschen wie über den Trotz und das Sauberwerden. Und zu allem Überfluss sieht auch „die Kirche“ ihr Engagement mitunter eher kritisch; Eltern stehen im Verdacht, bei der religiösen Erziehung zu wenig oder zu wenig Kirchliches zu tun.
Religiöse Erziehung geschieht heute also unter erschwerten Bedingungen. Umso mehr kommt es darauf an, dass sie einfach ist und zugleich entlastet. Dazu gehört an erster Stelle eine einfache, wiederholbare Praxis, die das Alltagsleben der Familie auf Gott bezieht:

  • Wir essen zu Mittag: Wir sprechen ein Tischgebet.
  • Wir beschließen den Tag: Wir sprechen ein Abendgebet und sagen uns den Abendsegen zu.
  • Wir fahren in Urlaub: Wir bitten Gott um seinen Segen.
  • Wir haben uns gestritten: Im Abendgebet, bei dem dann alle dabei sind, heben wir den Streit auf und feiern Versöhnung.
  • Unsere Großtante hat die Operation überstanden: Wir schicken ein Dankgebet zum Himmel.

„Gott hat die Aliens erschaffen.“

Wenn Eltern zusammen mit den Kindern ihre Erfahrungen mit Gott in Beziehung setzen, dann öffnen sie ihren Alltag auf Gott hin und können seine Spuren darin entdecken. Zugleich überschreiten, transzendieren sie die konkreten Erlebnisse; das kann ihnen helfen, Abstand zu gewinnen, die Erfahrungen neu zu sehen und aus ihnen zu lernen. Wenn sie Erfahrungen mit Gott verbinden, dann finden sie Symbole und Rituale, um sie auszudrücken und darzustellen, nachzuleben und zu verstehen. Sie finden eine Sprache für das, was in ihnen ist, die auch Wörter be reitstellt für das, was sie nicht zu sagen vermögen. Biblische Geschichten können dabei helfen, die eigenen Erfahrungen zu spiegeln, zu symbolisieren und weiterzuführen.
Aus dem Versuch, den Alltag mit Gott in Beziehung zu setzen, und aus dem Nachdenken über Gott entsteht Theologie. Die wissenschaftliche Theologie hat sich zwar längst aus diesen Ursprüngen gelöst, aber bei Kindern lassen sie sich noch beobachten. Kinder, die in der religiösen Erziehung lernen, ihre Erlebnisse mit Gott zu verweben, werden „automatisch“ zu kleinen Theologen; ihr munteres Philosophieren und Theologisieren wird seit ein paar Jahren als „Kindertheologie“ bezeichnet und auch gewürdigt. Beim genauen Hinschauen zeigen sich sogar Entsprechungen zwischen der offiziellen „Erwachsenentheologie“ und der „Kindertheologie“.
Bei meinen eigenen Kindern stelle ich zum einen fest: Sie verbinden selbst immer mehr ihre Erlebnisse mit Gott. Und zum anderen merke ich: Sie stellen kaum religiöse Fragen, stattdessen setzen sie lieber selbst theologische Theorien in die Welt. Mitten aus dem Spiel heraus treffen sie Aussagen wie

  • „Gott hat die Aliens erschaffen.“
  • „Gott ist ein Mann, oder Mama?“
  • „Gott sieht mich, wenn ich schlafe.“
  • „Das (Kuscheltier) hat der Gott gemacht.“
  • •„Das ist doch nicht der Gott, das ist doch derJesus.“
  • „Wenn man stirbt, kommt man im Himmel zu Gott.“

Wie aus dem „das Leben mit Gott verweben“ Kindertheologie entspringt, demonstrierte mir die sechsjährige Amelie nach dem Tod einer Klassenkameradin. Chiara war an Krebs gestorben; am Abend ihres Geburtstags dachten wir vor dem Einschlafen an sie. Auf einmal erklärt Amelie:

„Ruhe jetzt, ich bete: Ich bin traurig, dass die Chiara gestorben ist. Ich bin traurig, dass Gott ihr nicht helfen konnte. Lieber Gott, mach’ dass es der Chiara jetzt gut geht bei dir.“

Ohne Impuls meinerseits hat Amelie diese schlimme Erfahrung mit Gott verbunden und ihre Gefühle Gott hingehalten. Noch interessanter finde ich ihre Aussagen über Gott. Ich habe mit Amelie nicht darüber gesprochen, ob Gott Chiara nicht helfen konnte oder wollte oder ob er es gekonnt hätte. Sie selber hat sich das so zurecht gelegt, dass Gott nicht helfen konnte, und diese Deutung ins Gebet gebracht.

„Hilfe“, könnten jetzt manche Eltern denken. „Was mache ich bloß? Meine Kinder entwickeln sich zu kleinen Theologen, und ich habe keine Ahnung davon.“
Ich finde das nicht schlimm. Meine Kinder sind auch Dinosaurier-, Barbiefilm- und Fantasy-Experten, und ich habe keine Ahnung davon. Mehr als mein Wissen ist bei diesen Themen gefragt, dass ich die Kompetenz meiner Kinder anerkenne und dass ich dazulernen will.

Erwachsene können von Kindern lernen

Wenn wir Menschen, ob Kinder oder Erwachsene, von Gott sprechen, ist das immer ein Suchen und Tasten, ein Glauben und Darauf-Setzen, aber auch ein Zweifeln und nur Ahnen. Kinder und Erwachsene teilen diesen Suchprozess; und: Kinder können von Erwachsenen und Erwachsene von Kindern lernen. Die Bilder, die wir uns von Gott machen, unsere Gotteserfahrung und Gotteserkenntnis speisen sich sowohl aus der christlichen Tradition als auch aus unseren eigenen Erfahrungen, die wir mit denen der Tradition ins Gespräch bringen können.
Viele Jahrhunderte Erfahrung mit Gott haben Juden und Christen in der Bibel zusammengetragen und aufgeschrieben. Die zentrale Erfahrung der Juden war die Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten; Gott selbst, so ihr Glaube, führte die Israeliten aus dem Sklavenhaus in Ägypten in das gelobte Land, das spätere Israel. In den Psalmen wird dieser Gott in vielen Bildern beschrieben:

  • „Wenn ich rufe, erhöre mich, Gott, du mein Retter! Du hast mir Raum geschaffen, als mir angst war.“ (Psalm 4,2)
  • „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.“ (Psalm 23,1)
  • „Der Herr ist mein Licht und mein Heil… Sei mir ein schützender Fels, eine feste Burg, die mich rettet.“ (Psalm 31,3).

All diese Bilder sagen, wie Gott ist, wie ein Mensch Gott erlebt hat und wieder erleben möchte, wie Gott sich für ihn oder sie in einer bestimmten Lebenssituation erwiesen hat.
Jesus nennt diesen Gott am liebsten Vater, Abba, das ist aramäisch und heißt so viel wie Papa. Mit diesem Bild beschreibt Jesus seine Beziehung zu Gott: Gott ist für mich wie ein lieber Vater. Im Gebet, das Jesus uns empfohlen hat, kommt dieses Bild ebenfalls vor: „Vater unser im Himmel.“ Als Jesus sterben musste, hat sich Gott als liebender Vater erwiesen, indem er ihn aus dem Tod errettet und ihn zum ewigen Leben bei sich geführt hat.

Wir brauchen auch neue Gottesbilder

Mit diesem jüdisch-christlichen Erfahrungsschatz können wir, Kinder und Erwachsene, unsere alltäglichen Erfahrungen verbinden, symbolisieren, deuten und verstehen. Aus diesen mannigfaltigen Gottesbildern können wir unser eigenes Gottesbild speisen. Gleichzeitig machen wir auch eigene Erfahrungen und brauchen neue Gottesbilder, die an den christlichen Gott anschließen und die Geschichte der Menschen mit Gott fortschreiben. „Moderne“ Bilder für Gott heißen zum Beispiel Quelle oder Freundin oder Atem unserer Sehnsucht oder Kraft unseres Lebens. Vieles, was unsere Kinder kennen, kann zum Bild für Gott werden: Gott ist wie ein Leuchtturm, der uns den Weg zeigt und uns auf Gefahren hinweist. Gott ist wie Milch, die uns nährt und von der wir leben können. Gott ist wie eine Mutter, die uns behütet und immer für uns da sein will. Gott ist wie der Boden, der uns trägt und niemals wanken lässt.

Unterschiede wecken Neugier

Jedes Bild ist wie ein kleiner Mosaikstein zu dem großen Bild Gottes. Die vielen Mosaiksteine lassen uns mehr von ihm sehen als nur ganz wenige oder gar nur einer, auch wenn sie alle zusammen immer noch nicht den einen Lebendigen zeigen.
Deshalb können wir unsere Kinder ermutigen, ihre Bilder von Gott zu beschreiben, zu malen und wieder neu zu beschreiben. Wir Erwachsenen können von diesen Bildern lernen, genauso wie die Kinder lernen, wenn wir ihnen unser Gottesbild beschreiben.
Und was glaubst du? Was Religion interessant macht, ist auch und gerade die Tatsache, dass jede(r) diese Frage anders beantworten kann. Auch innerhalb derselben Religionsgemeinschaft zeigen sich unterschiedliche Akzentuierungen. Mancher Katholik steht in der Glaubensauffassung einem Protestanten näher als seiner katholischen Schwester… Die unterschiedlichen Akzente, die verschiedene Religionen und Konfessionen setzen, und auch die Widersprüche in der religiösen Praxis und Theorie machen gerade auch Kinder neugierig. Sie provozieren ja die Frage: Und was glaubst du? Sie provozieren, dass sich Erwachsene und Kinder gegenseitig erzählen, was sie glauben und was sie nicht glauben können, was sie in der Religion verstehen und was sie nicht verstehen. Diese Gespräche, durch eine einfache Praxis in der Familie angestoßen, machen religiöse Erziehung zu einem spannenden Unternehmen.

Christiane Bundschuh-Schramm